Ein Glarner reist nach Griechenland
Lasst uns weiter über Grenzen reden | Teil II
Wenn einer sagt, ein Stacheldraht ums Land tue not und eine Mutter, die mit ihren Kindern in die Schweiz geflüchtet sei, der würde er sagen, ihre Reise sei umsonst gewesen, dann wird er gehört. Dann will er gehört werden. Doch was tun, wenn einer solche Dinge sagt, die eigentlich unsäglich sind, und man ihm nicht direkt ins Gesicht sagen kann, dass das so nicht geht, nicht gehen darf?
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Die Reaktionen auf meine Einladung an Glarners Profil kamen prompt. Allerdings nicht von dem Einen, sondern von den Erbosten und Bitteren, die hoffen, dass er für sie alles wieder heil mache. Den Sturm da draussen in der Welt von ihnen fernhalte. Von jenen, die finden, mit der Schweiz gehe es bachab, und man müsse gopferteli zuerst den Alten und sozial Schwachen helfen, bevor man Schmarotzer aus aller Herren Länder aufnehme. Dass das eine mit dem anderen nicht direkt zusammenhängt, tut da nichts zur Sache. Das Argument passt halt einfach zu gut, um es freiwillig zu widerlegen.
Zwei Tage lang tobte der Schlagabtausch an der Pinnwand des Gemeindeammans von Oberwil-Lieli. Ausser unterirdischen Beleidigungen von beiden Seiten kam dabei nichts Gescheites zustande. Und noch immer hatten Glarner und ich keine direkten Worte gewechselt.
Als beschloss ich, die Tummelwiese für Halbwahrheiten und Ganzbosheiten wieder zu löschen. Und siehe da: Ein Zusage.
Zwei Tage später ein Telefonat. «Warum laden Sie mich ein, Frau Fischer?» - «Weil ich schon so oft gedacht und gehört habe, dass die Politiker die betroffenen Menschen selbst mal sehen sollten, bevor sie so kühl über deren Schicksale entscheiden.» Glarner sagte zu.
Nur wenige Tage später war die Reise in den Norden Griechenlands gebucht, wo uns Michael Räber von swisscross.help einen Einblick in die Lage vor Ort geben würde. Doch vor der Abreise kam es noch zu dem legendären Fettnapfhüpfen mit den «linken hässlichen Frauen». Meine Freunde lachten und rieten mir, mich dann anständig zu kleiden für den Herrn. Ehrensache. Die Reise würde ich ohnehin antreten. Auch wenn die Zweifel bei mir und vielen anderen gross waren. Denn ich glaube daran, dass es sich lohnt, miteinander zu reden, auch oder gerade, wenn man nicht gleicher Meinung ist.
Die Reise hat mich trotz aller Kritik darin bestätigt. Sie wurde für uns alle zu einem höchst vielschichtigen Erlebnis. Wir haben viel gestritten, an der Sache. Waren fassungslos ob der Lebensbedingungen und der himmelschreienden Ungerechtigkeit jedes einzelnen Schicksals, dem wir begegneten. Waren beeindruckt von den Volontären und den Menschen, die so viel Unvorstellbares in Kauf genommen haben, um ihre Familien zu retten, haben geweint und, ja, auch viel gelacht miteinander aber auch mit Helfern, Kindern, Müttern, Vätern. Über Kleinigkeiten, über das ganz normale Leben, das sich nicht einmal hier ganz ausmerzen lassen will.
Sicher. Herr Glarner hat vielleicht von der Aktion profitiert. Aber das hat meines Erachtens auch die andere Seite. Das Thema der Gestrandeten und unsere Verantwortung als Gesellschaft, als Land, als Schweiz sind wieder auf die mediale Agenda gerückt, ins öffentliche Bewusstsein. Denn alle Probleme sind noch da. Nichts ist vorbei, nur weil man nicht mehr so viel hört und liest. Vielmehr wurde einmal mehr deutlich, welche immensen Leistungen private Hilfswerke und Freiwillige leisten und wie sehr wir dem wirtschaftlich am Boden liegenden Griechenland den Schwarzen Peter zugeschoben haben.
Wir müssen helfen. Über das «Wie» muss man gründlich verhandeln. Aber nicht mehr über das «Ob». Ich glaube tatsächlich, dass auch Herr Glarner das begriffen hat. Er hat es mir mehrfach gelobt, ohne Kamera und ohne Medien, einfach im Gespräch zwischen zwei Menschen mit unterschiedlichem Weltbild auf der Suche nach einer Schnittmenge statt Stacheldraht. Ich glaube nicht, dass sich deswegen Grundlegendes ändert. Aber hoffentlich ein Quäntchen Mir ist durchaus bewusst, dass man das naiv nennen kann. Aber es gibt wesentlich Schlimmeres als Naivität.
Ich würde es jederzeit wieder tun und einen nächsten Tropfen auf den heissen Stein träufeln.
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