Lasst uns weiter über Grenzen reden
Kaum ein Politiker polarisiert im Moment mehr als Andreas Glarner, Gemeindepräsident von Oberwil-Lieli, Aargauer Neo-Nationalrat und Verantwortlicher für das Asyldossier bei der SVP. Am Donnerstag bringt die WOZ eine Titelgeschichte zu Glarners grenzwertigen Posts und den anschliessenden Reaktionen. Am Freitag erscheint im Blick ein Aufhänger über die Reise von Glarner ins griechische Flüchtlingselend. Der Tagesanzeiger ordnet das Thema auf Leitartikel-Ebene ein, 20 Minuten bringt ebenso ein Interview wie Tele Züri. Und der scharfzüngige Blogger Réda el-Arbi und Gleichgesinnte liefern sich seit Wochen Wortgefechte mit Anhängern von Glarner in den Sozialen Medien. Wie ist dieser Hype einzuordnen?
Der Fotograf Mario Heller arbeitet für Helvezin an einem Porträt über diese streitbare Figur. Wir veröffentlichen seine Arbeit am 1. August zusammen mit weiteren Reportagen und Kommentaren. Hier aber bereits jetzt eine Bildstrecke von der Reise nach Griechenland.
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Andreas Glarner hat es innert weniger Monate vom Präsidenten einer Kleingemeinde im Aargau in den Nationalrat, in die Höhen der Parteihierarchie und auf sämtliche Titelseiten geschafft. Wie geht das? Der Zeitgeist und die Flüchtlingsthematik begünstigen diesen Aufstieg. Und er beherrscht die Klaviatur der Provokationen meisterhaft, wenn auch mehr als einmal unappetitlich weit unter der Gürtellinie. Da mögen Granden der SVP noch so sehr die Nase rümpfen. Viele Kommentare beweisen, dass er in einem Teil der Bevölkerung damit gut ankommt und plötzlich auch gar nicht mehr radikal wirkt. Eindrücklich in diesem Zusammenhang ist das Interview in der WOZ mit einem dieser kommentierenden Wutbürger.
Der Hass im Internet ergiesst sich aber nicht nur über engagierte Bürgerinnen welche Glarners Unwahrheiten aufdecken. Die Empörung ist auch auf der anderen Seite nicht selten völlig undifferenziert und schlägt in blinde Wut um. Die Bilder mit dem syrischen Baby in seinen Armen werden uns noch eine Zeit lang begleiten und hässliche Fratzen zu Tage fördern. Es ist ja auch eine Provokation sondergleichen. Zuerst von Stacheldraht und knallhartem Zurückschicken reden und dann in der Helfer-Weste im Flüchtlingscamp anpacken und Herz zeigen. Die Medien mögen einen Charakter wie Andreas Glarner. Es lässt sich schaurig schön über ihn schreiben. In allen möglichen Farben. Und er enttäuscht niemanden, denn er liefert beständig neues Material.
Ich war nicht in Griechenland, auch kenne ich Andreas Glarner nicht. Aber für Helvezin war der Fotograf Mario Heller dort. Organisiert hat die Reise Andrea Fischer-Schulthess, Autorin und Unterstützerin des Hilfsprojektes. Sie hat Glarner eingeladen. Es scheint, dass die Reise bei ihm tatsächlich etwas ausgelöst hat. Er hat sich im Rahmen dieser Tage nun doch teilweise überraschend geäussert. So wird es im Blick geschildert und von den Beteiligten bestätigt. Allerdings können auch sie nicht einschätzen, wie viel Kalkül dabei ist. Dem Politiker wurde ein Einblick offeriert, er ist darauf eingegangen. Das ist im Sinne der Dossierkenntnis löblich.
Glarner ist ein umgänglicher Mensch, im persönlichen Kontakt offenbar freundlich, anständig und witzig. Ein Familienmensch durch und durch, die Empathie Kindern gegenüber ist bestimmt nicht geheuchelt. Aber eben, die Härte kam auch in Griechenland zum Vorschein. Sie entspricht seiner politischen Überzeugung, solche zu haben ist natürlich legitim. Letztlich bleibt aber halt doch zumindest der Verdacht zurück, dass die Reise Teil einer Imagekorrektur ist, auf dem Rücken engagierter Hilfeleistender und armer Seelen aus dem brennenden Mittleren Osten. Wir wissen es nicht. In den nächsten Tagen werden wir weitere Wortmeldungen veröffentlichen und die Debatte aufmerksam verfolgen.
So oder so, drei Dinge scheinen aus Sicht von Helvezin in dieser Sache zentral: Erstens wird die Zukunft zeigen, was der persönliche Kontakt mit der katastrophalen humanitären Situation am Rande Europas bei Andreas Glarner wirklich ausgelöst hat. Es liegt an ihm, den Beweis zu erbringen und an anderen Personen, ihn im Bedarfsfall daran zu erinnern. Zweitens, und das geht ja gerne vergessen, gilt es den Respekt vor anderen Personen, Meinungen und politischen Positionen zu bewahren. Wer dies von den Nationalkonservativen einfordert, kann selber keine persönlichen Attacken reiten. Die Argumentation in der Sache ist das oberste Gebot, wie hart auch immer sie geführt wird. Drittens verdient das Hilfsprojekt von Michael Räber und den vielen ehrenamtlichen Helfern Unterstützung. Sie und viele Gleichgesinnte leisten einen Teil dessen, was eigentlich eine europäische Aufgabe wäre.
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